Physik kann helfen…

 

Unsere 10.Klässer hatten mit ihren Geschichtslehrern einen Film mit dem nüchternen Namen „Ballon“ im Kino besucht und die Spielfilmszenen über eine hochdramatische Flucht aus der DDR noch vor Augen, da gelang es, Herrn Wetzel, den Ballonkonstrukteur, als Zeitzeugen für einen Vortrag an unserer Schule zu gewinnen.
Herr Wetzel hatte in den 1970er Jahren, angeregt durch Bilder von Heißluftballons in Albuquerque/Mexiko, die Idee entwickelt, sich mit seiner Familie in den Westen abzusetzen. Mitstreiter war die Familie Strelzyk, die im Film im Mittelpunkt steht. Es bedurfte dreier Ballon-Nachbauten, bis endlich einer zwei Familien mit je zwei Kindern wirklich transportieren konnte.
Im Vorfeld zu Herrn Wetzels Besuch hatte Herr Wittmann Fragen der Schüler zum Film gesammelt, um anhand dieser Fragen eine Film-Nachbesprechung zu moderieren. Die Schüler interessierte nicht nur wie weit der Film ein authentisches Bild der Ballonflucht zeichnet, sondern vor Allem welche Gefühle in den verschiedenen Phasen der Flucht Herrn Wetzel leiteten.
Herr Wetzel bezeichnete die Verfilmung als sehr wirklichkeitsnah, auch wenn manche Szenen sich so nicht ereignet hatten. Auch die eingewobene Liebesgeschichte ist Fiktion und doch wurden an ihr einige Problematiken der Flucht zugespitzt: Es gibt kein Zurück, allen persönlichen Bindungen zum Trotz.
Auf Ängste angesprochen, Angst vor dem Entdeckt-werden, Angst vor dem Misslingen des Fluges oder Angst vor der Landung mittels eines nicht mehr navigierbaren Ballons, (weil kein Gas mehr da war), gab Herr Wetzel die für manchen überraschende Antwort, dass ihn zuerst der Zeitdruck für den Bau des Ballons beinah ausschließlich auf dessen Fertigstellung fokussiert habe, später dann, die Ballonfahrt selbst, emotional immer noch in einem Tunnel mit dem einzigen Ausgang Westen verlief. Er sei sich seiner Sache so sicher gewesen, dass er das Wagnis des Unterfangens, das er heute sehe und ihn heute davon dem abhalten würden, damals völlig ausgeblendet habe. Sogar als der Ballon beim Start Feuer gefangen hatte, sei diese Nüchternheit nicht gewichen. Erst in der Retroperspektive sei er sich vieler Gefahren bewusst geworden und heute noch stelle es ihm die Nackenhaare auf.
Herr Wetzel hat die Erfahrung machen müssen, dass erst Vorausberechnungen mittels physikalischer Formeln, die Dimensionierung des Ballons ermöglichten. Der erste Ballon war weder gasdicht, noch groß genug, der zweite Ballon (der erste im Film) hatte zwar ein doppelt so großes Volumen, machte aber mit der Annahme einer Temperaturdifferenz von 80°C zwischen Heißluft und Umgebungsluft eine zu optimistische Annahme in Bezug auf den Auftrieb des Ballons. So gewann Herr Wetzel die Überzeugung, der Ballon könne nur eine Familie tragen und stieg mit seiner Familie zunächst aus dem Fluchtprojekt aus. Obwohl die Familie Strelzyk – wie im Film dargestellt – das Problem der Vereisung der Gasflaschen beim Druckverlust lösen konnte, scheiterte ihr Fluchtversuch an der Durchfeuchtung der Ballonhülle als sie damit in die Wolken kamen. Immer führten physikalische Überlegungen, gepaart mit viel Improvisationskunst aus einem Scheitern heraus und mündeten in das nächste Projekt. Der Fluchtballon schließlich hatte nochmal ein doppelt so großes Volumen, wie der Ballon zuvor. Da alle ingenieurstechnischen Probleme gelöst schienen, waren „nur noch“ die Materialbeschaffung und die schiere Größe des Ballons als Organisationsprobleme übriggeblieben.
Christof Wittmann